Weltblatt mit Schmerz. Die Huffington Post über ‚ziemlich krasse‘ Städte

München: Weltstadt mit Schmerz?

Weil es ja nicht immer so ernst zugehen muss. Und weil es auch einfach immer noch Spaß macht, sich über die deutsche Huffington Post zu amüsieren. Zunächst einmal allerdings, weil ich dort zum ersten Mal auch einen guten Artikel entdeckt habe. Inhaltlich sind die 15 hässlichen Wahrheiten über München zwar weitgehend eine überspitzte und daher nicht vollkommen ernstzunehmende Polemik. Aber dagegen spricht ja nichts, wenn es gut gemacht ist. Und ehrlich gesagt, war so ein München-Bashing doch überfällig. (Als gebürtiger Münchner und ansonsten München-Liebhaber darf ich das doch sagen, oder?) Klar ist es nicht überall gut gemacht. Und es ist auch einiges an Unsinn dabei. Spätestens der zweite Punkt aber hat satirische Schlagkraft. Demnach ist „das größte Kompliment, das die Münchner ihrem München machen: ‚Man ist schnell draußen’“. Die Ironie in dieser zutreffenden Feststellung wird zu Recht konstatiert und sogar historisch verortet.

Was an diesem Artikel alles nicht so ganz stimmt, haben die Leserkommentare zusammengetragen. Aber wahre Sätze wie der von der „postnuklearen Stadtlandschaft hinter dem Leuchtenbergtunnel“ oder „Nach Ladenschluss sieht es in der Kaufinger Straße dann aus wie im Legoland bei Regenwetter“ machen das Ganze zudem recht lesenswert. Auch der sozialkritische Impetus ist erwähnenswert. München ist eben auch eine Weltstadt mit Schmerz.

Schmerzhaft wird es dann allerdings auch wieder, wenn man unachtsamerweise den auf der Seite ausgelegten Fährten nach weiteren Stadtkritikschmankerln nachgeht. Die Huff Post hat da nämlich gerade auch eine Miniserie beendet, und zwar mit der Folge: 19 Zahlen zeigen, dass Hamburg eine ziemlich krasse Stadt ist. Das so ziemlich Krasseste an dieser Aufzählung aber dürfte sein, dass die Aussage 10, Hamburg habe mit 16 Prozent des Stadtgebiets den höchsten Grünflächenanteil Deutschlands, aufs Krasseste Punkt 7 der ersten Folge der Serie widerspricht. Dort hieß es nämlich über Berlin: „44 Prozent des Stadtgebietes sind Grünflächen“. Das wurde aber immerhin nicht auch als der größte Anteil in Deutschland bezeichnet. Den „längsten Biergarten der Welt“ darf sich allerdings mit 2,2 Kilometern Länge offenbar das Berliner Bier Festival nennen (Punkt 20).

Damit vom längsten Biergarten der Welt zum größten: dem Münchner Oktoberfest. Und damit zum Abschuss (leider war es faktisch noch nicht der Abschluss) dieser ‚ziemlich krassen‘ Reihe: 17 erstaunliche Zahlen, die zeigen, dass München eine ziemlich krasse Stadt ist. Das Krasse spielt sich hier nun allerdings schon vor den Zahlen in der Einleitung ab: „Ganz klar: München ist eine der schönsten Städte Deutschlands.“ Dass diese Klarheit dem eingangs zitierten München-Artikel widerspricht, ist natürlich geschenkt. Sowas ist schließlich redaktionelle Vielfalt. München habe „aber nicht nur ästhetisch mindestens so viel zu bieten wie Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Frankfurt und Dresden.“ Und alle anderen deutschen Städte auch! ‚Mindestens‘! „Sondern auch ziemlich viele überraschende Eigenschaften, von denen Sie mindestens die meisten noch nicht kennen.“ Mindestens die meisten, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Eine ausgesuchte Alliteration, die wohl den ironischen Charakter dieser „ziemlich viele[n]“ krass „überraschende[n] Eigenschaften“ andeuten soll: „1. Die Münchner Verkehrsgesellschaft bewegt täglich mehr als 1,4 Millionen Fahrgäste.“ Krass! Dass in einer bei Touristen wie Geschäftsleuten gleichermaßen beliebten wie bedeutenden Millionenstadt auch täglich über eine Million Menschen mit den Öffentlichen fahren. Überraschend! Vielleicht liegt es daran, dass hier die Öffentlichen wenigstens noch fahren. „2. München richtet mit dem Oktoberfest das größte Volksfest der Welt aus.“ Na, diese Überraschung haut aber nun auch noch den letzten Münchner Wiesn-U-Bahn-Fahrgast aus den Haferlschuhen. Hätten Sie’s gewusst?!

Dass München allerdings die deutsche Großstadt mit den meisten Sonnenstunden pro Tag sei (nämlich 5,2 Stunden; Punkt 12), muss wohl als umstritten gelten. Denn auch wenn einigen der Münchner Rentnerpromis (siehe noch einmal Punkt 10 im ersten Artikel) die Sonne aus dem Arsch scheinen mag, kommen Studien zur Verteilung der Sonnenstunden in Deutschland zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dieser Quelle zufolge liegen jedenfalls ganze sechs Großstädte im Sonnenindex vor München. (Okay, dass etwa der inzwischen ja fast schon sprichwörtliche Spitzenreiter dieser Liste, Freiburg im Breisgau, wirklich eine Großstadt ist, mag mancher zu Recht bezweifeln. Nach internationalem Standard ist sie es aber. Man könnte das ja auch mal die Leute fragen, die an Deutschlands dieser Quelle zufolge sonnigstem Fleck leben: der Zugspitze.) Und laut dieser Quelle (von 2009!) hatte damals zwar München mit 28,8 Prozent (siehe Punkt 11) tatsächlich eine um 0,2 (!) Prozent höhere Singlequote als Berlin. In absoluten Zahlen lebten aber mit 600.000 in Berlin mehr als doppelt so viele Singles wie in München.

Das ist natürlich spitzfindig. Und einer guten, erheiternden Polemik wie dem oben zitierten München-Bashing lege ich eine nicht ganz fehlerfreie Faktendarstellung, wie gesagt, auch gar nicht zur Last. Aber wenn an 17 ‚erstaunlich krassen‘ Zahlen weder etwas erstaunlich noch etwas krass ist, außer dass einige Zahlen nicht ganz stimmen; und wenn darüber hinaus die fünf Zeilen Einleitungstext von Logik- und Stilblüten nur so überquellen, dann bleibt am Ende nur eine ‚ziemlich erstaunliche‘ Schlussfolgerung: Drei von vier, also „mindestens die meisten“ Artikel auf Huffington Post Deutschland sind ziemlich krass schlecht. Die Huff Post bleibt wohl ein Weltblatt mit Schmerz.

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